30. Januar bis 28. Juni 2020
In der Ausstellung „Tête-à-Tête. Köpfe aus der Kunstsammlung der Berliner Volksbank“ treffen Besucherinnen und Besucher des Kunstforums in Charlottenburg auf eine der interessantesten Werkgruppen aus der Kunstsammlung der Berliner Volksbank: Kopfdarstellungen. Es sind herausragende Botschafter der Sammlung, die auf figürliche Kunst spezialisiert ist. Die Werke von 22 Künstlerinnen und Künstlern, die vorwiegend in Berlin und Brandenburg leben, zeigen die Vielfalt der Thematik mit Beispielen aus fast sieben Jahrzehnten von 1950 bis 2018. Seit der Moderne haben sich Künstlerinnen und Künstler immer freier mit dem Thema „Kopfdarstellungen“ auseinandergesetzt, sich dabei vom klassischen Bildnis gelöst und faszinierende Interpretationen geschaffen. In der Ausstellung stehen in besonderem Maße Form und Ausdruck im Dialog mit Material und Technik.
Gestaltet mit Beton, Glas, Stahl, Steinguss und Terrakotta sind die bildhauerischen Arbeiten von Horst Antes, Clemens Gröszer, Dieter Hacker, Christina Renker, Gerd Sonntag und Ulla Walter zu erwähnen. Von wichtigen Künstlern der Sammlung wie Gerhard Altenbourg, Luciano Castelli, Christa Dichgans, Rainer Fetting, Dieter Hacker, Angela Hampel, Martin Heinig, Burkhard Held, Helge Leiberg, Markus Lüpertz, Helmut Middendorf, Roland Nicolaus, A. R. Penck, Hans Scheuerecker, Erika Stürmer-Alex, Max Uhlig und Dieter Zimmermann stammen vielfältige Gemälde, Zeichnungen, Arbeiten auf Papier und Grafiken.
Einführung zur Ausstellung “Tête-à-Tête. Köpfe aus der Kunstsammlung der Berliner Volksbank” von Kuratorin Dr. Dörte Döhl
Beim Thema „Kopf“ in der Kunst denkt man zunächst an das traditionelle Genre des Porträts. Die Bildniskunst stellt in aller Regel die individuelle Persönlichkeit heraus, und diese Auftragswerke sind zumeist mit der Absicht der Selbstdarstellung oder der Machtinszenierung entstanden. Es handelt sich nicht selten um faszinierende Zeugnisse der Geschichte und Kulturgeschichte. In der modernen abendländischen Kunst des 20. Jahrhunderts sind wir jedoch oft mit Kopfmotiven konfrontiert, die das Individuelle zurückstellen und andere Aspekte des Menschseins unterstreichen oder die Physiognomie neu interpretieren. Es handelt sich nicht um klassische Repräsentation, sondern um die Aufzeichnung von Emotionen und Erfahrungen oder Zuständen und Wahrnehmungen.
Die Künstlerinnen und Künstler von heute können auf eine rund hundertjährige Entwicklung zurückblicken, die die Sichtweisen auf das Haupt des Menschen grundsätzlich erweitert hat. Edvard Munch hat Ende des 19. Jahrhunderts in seinem als „Der Schrei“ bekannten Bild die Emotion der Angst mit einfachen stilistischen Mitteln vor allem im Gesicht seiner Figur erfahrbar gemacht. Kurze Zeit nach der Jahrhundertwende begann Pablo Picasso eine neue Bildsprache zu entwickeln. Angeregt von afrikanischen Skulpturen veränderte er auch die menschliche Figur, indem er die Formen aufbrach. Der Kubismus fokussierte einen Gegenstand aus mehreren Blickwinkeln zugleich und änderte damit auch die Perspektive auf den menschlichen Kopf.
Diese Hinwendung zur Abstraktion wird in den 1920er-Jahren von Paul Klee und Alexej von Jawlensky weiterentwickelt. Klees bekanntes Gemälde „Senecio“ zeigt das runde Gesicht in wenigen kräftigen Farben, auch hier ist der Einfluss afrikanischer Maskenkunst zu unterstreichen. Aber vor allem belegen die geometrische Ausgestaltung mit Quadrat, Dreieck und Kreis den starken Einschlag des Bauhauses, an dem Klee unterrichtete. Systematischer ging der wie Klee aus dem Umfeld der Künstlergruppe „Blauer Reiter” stammende Jawlensky vor. Er löste die Form des Gesichts in ein Muster aus Linien und Farben auf. Nicht nur das, er schuf mehrere Serien, in denen er das Thema systematisch erforschte. Zunächst entstanden die „Mystischen Köpfe”, dann die „Heilandsköpfe” und schließlich sprach er selbst von seinen „Abstrakten Köpfen”. In sich versunken, strahlen die Gesichter eine Spiritualität aus, die ihre Wurzeln in der religiösen Kunst hat. Die Bilder wirken wie Neuschöpfungen im Geist der orthodoxen Heiligen-Ikonen. Zu einer Ikone der modernen Kunst ist Picassos „Weinende Frau“ von 1937 geworden. Als Spiegel starker Emotionen zeigt das Gesicht der Dargestellten Schmerz auf eindringliche Weise. In der Folge des Kriegsgemäldes „Guernica“ entstanden, ist in Gestalt der Lebensgefährtin Dora Maar auch die Tragik der Epoche expressiv eingefangen.
Die Kunstsammlung der Berliner Volksbank umfasst einen umfangreichen Bestand an Kopfdarstellungen, von denen in der Ausstellung „Tête-à-Tête“ nur eine Auswahl gezeigt werden kann. Die Exponate stammen aus den Jahren von 1950 bis 2018 und umspannen daher nahezu sieben Jahrzehnte. Da Bilder vom Menschen ein Motto der figurativen Sammlung ist, sind Köpfe ein wichtiges Sujet unter den über die letzten drei Jahrzehnte zusammengetragenen Kunstwerken.
Für die neue Figuration in den 1960er-Jahren steht der stählerne Kopf von Horst Antes, der insbesondere mit dieser Art der Darstellung bzw. durch die sogenannten „Kopffüßler“ berühmt wurde. Seine kompakten Profile erforschen die universelle Form des in allen Kulturen behandelten Themas. So wirkt auch der „Kopf mit stehender Figur, Reif und Stab“ wie ein archaisches Symbol.
Im Gegensatz dazu hat Gerhard Altenbourg in unzähligen Papierarbeiten filigran ausgearbeitete Gesichter kreiert. In der Kunstsammlung der Berliner Volksbank finden sich dafür herausragende Beispiele. Sein „Kopf“ von 1961 konfrontiert uns mit einer zerfurchten Gesichtslandschaft, in der die Erinnerung eingegraben und gleichzeitig die Vergänglichkeit eingeschrieben ist. In ähnlich intensiver Weise hat sich Hans Scheuerecker dem Thema gewidmet. Die Ausdruckskraft der Linie sticht in seinen „Gesichten“ hervor, die spielerisch mit Elementen der Abstraktion umgehen.
Umrisse sind häufig ausreichend, um eine Kopfform zu assoziieren, was sich auch Helge Leiberg in „Wildheit im Kopf“ zunutze macht. Durch die „Überblendung“ des Gesichts mit einer weiblichen Tänzerfigur verschmelzen Innen- und Außensichten zu einer Vision. Während hier ein emotionaler Zustand beschrieben wird, ist bei Ulla Walters „Freidenker mit archimedischem Punkt“ die Offenheit in allen Richtungen Ausdruck einer Geisteshaltung. Die Hohlform des Kopfes verkörpert die Öffnung nach außen und die Aufnahme nach innen im Denken. Ein Prozess, der immer wieder neu ausgelotet werden muss. Fließende Übergänge und Offenheit sind auch ein Thema bei den Glasskulpturen von Gerd Sonntag. Er hat für seine Köpfe, die aus mehreren Schichten aufgebaut sind, eine neue Technik entwickelt. Die Transparenz des Werkstoffs verleiht ihnen eine Leuchtkraft, die zugleich die Auflösung der geschlossenen Form in Licht und Farbe bewirkt.
Das Thema Kontemplation wird durch den nachdenklichen „Sterndeuter“ von Markus Lüpertz verkörpert, der ein Mittler zwischen unterschiedlichen Welten zu sein scheint. Dem Irdischen entzieht sich auch der idealisierte Kopf von Clemens Gröszer, der in der Tradition übersinnlicher Engelsfiguren steht.
Die kraftvolle Expressivität der Berliner „Neuen Wilden“ ist bei Luciano Castellis monumentalen „Chinesischem Porträt“ und Helmut Middendorfs „Großem Stadtkopf“ aus den 1980er-Jahren bildbeherrschend. Als frei interpretierte zeitgenössische Köpfe sind sie lebensnah eingefangen.
Männer mit Hüten sind das Thema bei Rainer Fetting der Impressionen aus New York wiedergibt. Großstadtbegegnungen hinterlassen flüchtige Eindrücke. Mit dem Accessoire eines Hutes nutzt der Künstler seine Möglichkeiten als Regisseur der Bilderserie.
Dass Kopfbedeckung oder Maske traditionell zur Inszenierung eines Kopfes verwendet werden, greifen Angela Hampel und Roland Nicolaus auf. In ihren Bildern „Selbst mit Maske“ und „Selbstbildnis“ stellen sie zugleich die Frage nach der eigenen Identität. Christa Dichgans zeigt ihr Selbstbild in einem Meer von Köpfen. Sie unterstreicht angesichts der Vielfalt des Seins die Notwendigkeit der Selbstbestimmung des Individuums.
Dörte Döhl
Begleitend zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen. Er kann für 5 Euro zzgl. Versandkosten erworben werden. Bitte richten Sie bei Interesse eine E-Mail an: kunstforum@berliner-volksbank.de
22 Minuten © Stiftung KUNSTFORUM der Berliner Volksbank gGmbH.