Zum 35-jährigen Jubiläum des Kunstforums und der Kunstsammlung der Berliner Volksbank sowie zu 15 Jahren „Werkstatt für Kreative“, und zum 75. Geburtstag der Berliner Volksbank eG ist eine Ausstellung entstanden, die das Thema „WIR. Nähe und Distanz“ in den Mittelpunkt stellt.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Mitarbeiter:innen der Berliner Volksbank, die sich angeleitet von den beiden Kuratorinnen der Stiftung KUNSTFORUM gemeinschaftlich mit der hauseigenen Kunstsammlung beschäftigt haben.
Eine erste Gruppe von zehn Mitarbeiter:innen wählte für den Teil der im Februar eröffneten Ausstellung Gemälde, Skulpturen und Grafiken aus, die sie besonders persönlich ansprachen. Reflexionen über das private und gesellschaftliche Miteinander gaben den Ausschlag, dieses Thema für die Ausstellung im Erdgeschoss festzulegen.
Eine zweite Gruppe von vier Mitarbeiter:innen fokussierte sich für die Erweiterung der Schau im Juni auf die 75-jährige Zeitspanne des Bankjubiläums. Sie wählte für die Erweiterungsflächen im 1. Obergeschoss Kunstwerke der letzten acht Jahrzehnte aus, die Schlaglichter auf das Berliner Kunstgeschehen seit 1946 werfen.
Die nun erweiterte Ausstellung zeigt rund 60 Werke aus der Kunstsammlung der Berliner Volksbank. Zu sehen sind Arbeiten von Hermann Albert, Gerhard Altenbourg, Armando, Christa Dichgans, Rainer Fetting, Klaus Fußmann, René Graetz, Rolf Händler, Sylvia Hagen, Werner Heldt, Ingeborg Hunzinger, Peter, Janssen, Carsten Kaufhold, Konrad Knebel, Hans Laabs, Wolfgang Leber, Markus Lüpertz, Wolfgang Mattheuer, Harald Metzkes, Silke Miche, Helmut Middendorf, Arno Mohr, Kurt Mühlenhaupt, Roland Nicolaus, Wolfgang Petrick, Rita Preuss, Erich Fritz Reuter, Cornelia Schleime, Ludwig Gabriel Schrieber, Michael Schoenholtz, Reiner Schwarz, Ursula Strozynski, Christian Thoelke, Heinz Trökes, Hans Uhlmann, Ulla Walter, Britta von Willert, Martin Zeller u.a.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der käuflich erworben werden kann.
Das Jahr 2020 war von der Pandemie geprägt – und die Frage nach Nähe und Distanz drückte dem alltäglichen Leben der Menschen, wie auch der Arbeit des Kuratorenteams aus Mitarbeitern der Berliner Volksbank ihren Stempel auf. Konnte Sicherheit entstehen durch den physischen Abstand von 1,5 Metern? Gab es Nähe und ein gemeinsames Wir-Gefühl auch im virtuellen Raum der Videokonferenz? Oder allgemeiner: erwächst Solidarität und Gemeinschaft auch / trotz / wegen räumlicher Distanz?
So tagesaktuell diese Fragestellungen waren, so fanden sich auch grundsätzliche, philosophische Gedanken zu diesem Thema.
Schon in der Parabel „Die Stachelschweine“ des Philosophen Arthur Schopenhauer von 1851 wird das Dilemma von Nähe und Distanz im Miteinander thematisiert: eine Gruppe von Stachelschweinen hat das Bedürfnis nach körperlicher Wärme – gleichzeitig jedoch schmerzen die Stacheln des Nachbarn, je näher die Einzelnen aneinanderrücken. Es gilt also, den idealen Abstand zu finden, um die gemeinschaftliche Wärme zu nutzen, ohne sich an den Stacheln der Anderen zu stechen. Dieser Konflikt lässt sich auf den Menschen übertragen. Einerseits gibt es das starke menschliche Bedürfnis nach Nähe, nach Solidarität und Gemeinschaft, nach Freundschaft und Liebe. Andererseits streben die Menschen auch nach Individualismus und Selbstbestimmung. Manche haben das Bedürfnis nach Ruhe und Alleinsein.
In diesem Spannungsfeld von Nähe und Distanz gilt es, ein Gleichgewicht zu finden. Die Herausforderungen liegen im persönlichen Bereich, in der Gestaltung von privaten Beziehungen aller Art: von der Liebe über Freundschaft und Familie, bis zur alltäglichen Begegnung mit anderen.
Die Lebenssituation in einer Großstadt wie Berlin stellt die Fähigkeit jedes Einzelnen auf die Probe, sich im Gewühl der anonymen Menschenmassen zurechtzufinden. Gleichzeitig sorgt gerade die Menge der verschiedenen Menschen für die Faszination und Lebendigkeit der Stadt. Gemeinschaft, Zusammenhalt und Vergnügen stehen Einsamkeit, Isolation und Verlorenheit gegenüber.
Auch die Beziehung des Individuums zur Gesellschaft, zur politischen Situation und zur Geschichte lässt sich unter dem Aspekt von Nähe und Distanz betrachten. Es geht um die Frage, wie stark der Einzelne sein Handeln vom gesellschaftlichen Umfeld beeinflussen lässt, und zugleich darum, wie historische Entwicklungen das persönliche Handeln und Empfinden lenken.
Diese Fragestellungen sind eine Quelle stetig neuer Auseinandersetzungen, Abwägungen und Reflektionen, um die eigene Position zu bestimmen und zu definieren. Gerade mit den Mitteln der Kunst kann die Komplexität der positiven wie negativen Emotionen und Bedürfnisse dargestellt werden.
Die Kunstsammlung der Berliner Volksbank hat einen Schwerpunkt auf figürliche Kunst, so ist naturgemäß das Bild des Menschen stark vertreten. Damit werden die emotionale Situation und die zahlreichen damit verbundenen Fragestellungen des Menschen wie auch des Individuums innerhalb der Gesellschaft häufig zum Thema der Kunst. Auch die Umgebung des Menschen, der konkrete, der metaphorische oder der emotionale Raum, findet in den Kunstwerken immer wieder Beachtung. So bot es sich an, Werke zum Gedanken von ‚Nähe und Distanz‘ auszuwählen und ihm sich mit einer Vielfalt an künstlerischen Positionen anzunähern.
Das Hauptmotiv der Ausstellung, Klaus Fußmanns „Atelier mit roter Jacke“, stimmt auf das Thema ein: Distanz wird geschaffen, indem zunächst die Anwesenheit einer menschlichen Person fehlt. Auf den ersten Blick irritiert diese Distanz. Dennoch spricht die Darstellung eindringlich von der Persönlichkeit des Künstlers. Zwar hat er sein Atelier verlassen, doch konkretisieren die Gegenstände im Raum, wie Farbtuben und -töpfe, seine Tätigkeit. Die weiße Wand steht für den mit Kunst zu füllendem Raum. Mit der signalroten Jacke klingt die gestalterische Energie des Künstlers an.
Im Gegensatz dazu verbildlicht Christa Dichgans mit zahllosen kleinen Figuren in „Begegnung mit den Ichs“ die vielfältigen Facetten ihres Selbstverständnisses. Im Vordergrund sieht man sie selbst eine Engelsfigur malend, die als Sinnbild für den Aufbruch und die freie Kreativität des künstlerischen Schaffens begriffen werden kann.
In Wolfgang Mattheuers „Selbstbildnis“ zeigt sich der Künstler mit dem Pinsel in der Hand als „Bild im Bild“ in Gestalt eines Porträts auf der Staffelei. Durch die geöffneten Fenster und die Spiegelungen der Stadtlandschaft darin öffnet Mattheuer den Atelierraum und verweist auf sein Umfeld: Er lässt die Welt von draußen in sein Inneres vordringen und thematisiert die Wechselbeziehung in der Kunst, vielfach gespiegelt und gewandelt. Der komplexe Vorgang des Zurücktretens, um die Wahrheit künstlerisch zu überblicken und zugleich detailliert wiederzugeben, wird durch die Verschachtelung des Raumes angedeutet.
Mattheuers „Blinder Mann“ leitet zu einer Gruppe von Werken über, die sich mit der menschlichen Einsamkeit befassen. Die monochrom gemalte Figur erscheint wie versteinert und sitzt ohne Bezug zu ihrer Umwelt vor einem dunklen Hintergrund. Die durch die geschlossenen Augen verdeutlichte Blindheit verhindert die Kontaktaufnahme zur Umgebung.
Diese Unmöglichkeit der Verbindung zeigt auch Ingeborg Hunzingers Marmorskulptur „Über die Schulter“. Die blockhafte Form der Figur lässt keine Interaktion mit dem umgebenden Raum zu, sie ist ganz auf sich selbst konzentriert. Sie erscheint völlig allein und sich selbst überlassen. In ihrer Einsamkeit ist sie ganz auf sich gestellt. Doch changiert die Wirkung auch: möglicherweise schützt sich die Figur auch vor ihrer Umwelt, zieht sich freiwillig zurück und lässt ihre Umgebung bewusst nicht an sich herankommen.
Isoliert bewegen sich auch die Figuren in Wolfgang Lebers „Auf der Galerie“ in einem verschachtelten Raum, möglicherweise eine Situation in einer Bahnstation oder einem Einkaufszentrum. Die Figuren sehen sich nicht an und auch ihre Wege kreuzen sich nicht, eine Begegnung scheint nicht möglich.
Karl-Ludwig Langes „Fast im Warmen“steigert die Abschottung des Individuums weiter. Die schemenhafte, frontale Figur steht dem Betrachter zwar direkt gegenüber – doch vermittelt die Unschärfe der Details und der diffuse Farbraum eine konkrete wie metaphorische Distanz.
Die Gegenüberstellung der Bedürfnisse von Nähe und Distanz ist ein immer wiederkehrendes Thema bei der Darstellung von Liebe in der Kunst. In Ruth Tesmars „Unter Wasser – Schweben“ bewegen sich die Silhouetten einer Frau und eines Mannes wie schwerelos in einem blauen Raum. Ihre Körper schweben nebeneinander und passen sich in den Formen ineinander ein, dennoch berühren sie sich nicht. In diesem poetischen Bild lässt sich das Wasser als eine Metapher für das Leben begreifen: Das Paar treibt nah beieinander hindurch und jeder bleibt autonom für sich.
Ein berührendes Bild körperlicher Intimität zeigt Hans Uhlmanns Bronze „Weibliche Gruppe“. Die formal reduzierten Körper sind in einem gemeinsamen Umriss eingeschrieben, die Arme auf den jeweils anderen Körper gelegt, während die Köpfe geradezu miteinander verschmelzen.
Angela Hampels Lithografie „Dich spüren will ich…“ hingegen spricht von der Sehnsucht nach diesem physischen Kontakt, wie der Titel andeutet. Die weibliche Figur verbildlicht den Konflikt dieses Verlangens. Die Figur mit eindringlichem Blick legt den Arm um die eigene Schulter, als wolle sie sich selbst umarmen. In der anderen Hand hält sie ein schlangenförmiges Tier, wobei offen bleibt, ob es abgewehrt oder herangezogen wird. Der kahle Kopf verweist auf das Gefühl von Schutzlosigkeit und Verletzlichkeit.
Ambivalente Emotionen thematisiert auch Hermann Albert in seinem Gemälde „Sich kämmender Akt“. Eine nackte Frau scheint sich in ihrem Zimmer unbeobachtet zu fühlen. Doch ein Schatten an der Wand offenbart einen männlichen Beobachter. Der bedrohliche Aspekt von Begehren und Liebe wird illustriert. Gleichzeitig ist die Szene auch eine Stellungnahme zum Thema Voyeurismus in der männlich dominierten Kunst, in der sich die lange künstlerische Tradition von Darstellungen weiblicher Nacktheit manifestiert.
Bedrohlich wirkt auf den ersten Blick Markus Lüpertz‘ Gemälde „Zwei Krieger“. Zwei Figuren mit archaischen Schilden, Schwert und Lanze begegnen sich angriffslustig. Die Gesichter sind jedoch mit Masken verdeckt, die eher freundlich und offen wirken. So vermittelt die Szene einen Eindruck der Vielgestaltigkeit im Miteinander männlicher Kontrahenten, changierend zwischen Neugier und Aggressivität.
Die Bronzeplastik „Wanderer namenlos“ von Sylvia Hagen präsentiert drei skizzenhaft modellierte Figuren. Es geht vor allem um die Körperhaltungen, die einander zugewandt oder voneinander abgewandt sind. Den „Wanderern“ auf dem Weg des Lebens ist das Wechselspiel von Nähe und Distanz eingeschrieben.
Gerhard Altenbourgs Holzschnitte arbeiten mit der seriellen Vervielfältigung einer immer gleichen Figur. Aneinandergereiht vermitteln sie die Gleichförmigkeit der anonymen Menschenmasse. Zugleich gibt die farbige Gestaltung sowie die mit gedruckte Maserung des Holzes Anlass zur Reflexion über die gleichzeitige Einzigartigkeit des Individuums.
Altenbourgs filigrane Zeichnung „Flug“ zeigt ein einzelnes Wesen, eine mythisch-mystische Gestalt mit Flügeln, die durch die Fähigkeit des Fliegens von ihrer Umgebung getrennt ist. Der mit sanftem Lächeln umgewandte Kopf jedoch scheint auf die Existenz anderer hinzuweisen.
Zu den frühen Arbeiten aus der Sammlung gehören Werner Heldts Kohlezeichnungen aus Berlin. Er beobachtet hier Szenen aus dem Nachkriegsalltag der Stadt und beschreibt dabei Ansammlungen von Menschen, wie sie Ende der 1940er Jahre im städtischen Leben vielfach vorkamen. In diesen Beschreibungen verschmilzt der Einzelne formal mit der Masse.
In Thomas Hornemanns „Cabaret la Marina“und Kurt Mühlenhaupts „Sommerlicher Badestrand“ werden die heiteren Seiten des Großstadtlebens beleuchtet. Die Menschen kommen sich nah, bei freizeitlichen Vergnügungen vom Tanz in der Kneipe bis zum Sonnen, Baden und Spielen am Strand.
Die Unübersichtlichkeit der Großstadt wird in Ulla Walters Arbeit „U-Bahn“ thematisiert. Die menschlichen Figuren sind zu abstrahierten Formen aufgelöst, dennoch wird das Gefühl von Gedrängtheit, Durcheinander und Dichte nachvollziehbar. Das Individuum tritt in der Bahn nicht in Erscheinung, sondern geht im Gewirr der Masse unter.
Silke Miches „Kästen“ zeigen nicht den Menschen selbst, sondern seine urbane Wohnsituation. In der endlos scheinenden Reihung von Balkonen wird die Konformität und Enge städtischen Wohnraums deutlich. Die leuchtende Farbgebung löst das Bedrückende jedoch auf und lässt die Individualität der Bewohner anklingen.
Mit der politischen Wende nach 1989 ereignete sich in der deutschen Geschichte ein fundamentaler politischer und gesellschaftlicher Wandel, der vielfach auf subtile Weise künstlerischen Ausdruck fand.
Cornelia Schleime beleuchtete im Gemälde „Sibirischer Frühling“ ihre persönliche Situation, als sie 1984 nach großem Druck durch die Behörden der DDR in die Bundesrepublik ausgereist war. Das Gemälde zeigt eine verschneite Landschaft, ein weit entferntes „Sibirien“, von dem sie sich nun distanzieren konnte. Die farbenfrohen Punkte sowie der im Titel angedeutete „Frühling“ symbolisieren ihre optimistische Aufbruchstimmung.
Ganz anders bei Wolfgang Peukers 1990 entstandenem Bild „Pariser Platz II“. Um das Brandenburger Tor dominiert eine bleiern-graue Undurchdringlichkeit. Obwohl durch den Mauerfall das Tor geöffnet ist, scheint die Welt jenseits des Tors unendlich weit entfernt. Eine Begegnung mit den unheimlichen dunklen Gestalten, die von dort kommen, versucht man intuitiv zu meiden.
Ambivalent ist auch Harald Metzkes „Blinde Kuh“ ein Gemälde, das auf den ersten Blick ein heiteres Gesellschaftsspiel zu sein scheint. Doch lässt sich das Bild, wie so oft bei Metzkes, auch als Metapher des gesellschaftlichen Miteinanders verstehen. Die Frau mit den verbundenen Augen versucht, die anderen Personen zu berühren, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Betrachtet man die Entstehung des Werks in der deutschen Nachwendezeit, so könnte es auch ein Kommentar zur Begegnung von Ost- und Westdeutschen sein. Das Nicht-Sehen mit verbundenen Augen steht dabei symbolisch für das Nicht-Wissen und Nicht-Verstehen im Versuch des Zusammenkommens – und auch die ausweichenden Mitspieler unterstreichen das Scheitern der Begegnung.
Janina Dahlmanns