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Links: Michael Müller, Angst, 2009, Bleistift auf Papier, 42 × 59,5 cm, Courtesy Privatsammlung, © Studio Michael Müller, Foto: Frank Sperling Rechts: Gerhard Altenbourg, „Leise sangen sie in Wind und Wehen; leise schwanken sie in Wind und Wehen“, 1984, Mischtechnik auf Papier, 67 x 48,5 cm, Kunstsammlung der Berliner Volksbank K 25,  © VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Peter Adamik

Durchdringen: Das U/unheimliche s/Sehen

Die zweiteilige Ausstellung des Künstlers und Kurators Michael Müller, die im Rahmen der Berlin Art Week 2024 ab dem 11. September 2024 (bis zum 8. Dezember 2024) in der Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank zu sehen ist, befasst sich unter dem Titel Durchdringen: Das U/unheimliche s/Sehen mit der Kunstsammlung der Berliner Volksbank und untersucht (Gegensatz-)Paare: „Durchdringen (Verstehen)“ vs. „Durchdringen (Durchlöchern)“ sowie das von dem Psychoanalytiker Sigmund Freud in seinem 1919 erschienenen Aufsatz Das Unheimliche behandelte Verhältnis von „Heimlich“ vs. „Unheimlich“. Was sich auf den ersten Blick auszuschließen scheint, ist doch im Wechselspiel aufeinander bezogen, durchdringt einander und changiert oft von einem zum anderen.

Im ersten Ausstellungsteil, in dem Michael Müller Werke der Kunstsammlung der Berliner Volksbank präsentiert, werden vertraute Modelle des Sehens durch die Ausstellungsarchitektur und Inszenierung verwehrt: Besucher:innen müssen ihre Perspektiven und Positionen in den abgedunkelten und niedrigen Räumen verändern, da ihnen die gängige Praxis der Annäherung an Kunstwerke verweigert wird. Das Selbstverständliche und Altbekannte der einzelnen Arbeiten kehrt in veränderter Weise wieder und fordert, mit einem neuen Blick durchdrungen zu werden. Es wird fremd, bleibt vage und lässt so tiefere Schichten und Leerstellen der jeweiligen Kunstwerke erscheinen, die zuvor verdeckt waren durch das vermeintlich Bekannte, bereits Durchdrungene.

Im zweiten Teil der Ausstellung tritt Michael Müller zunehmend als Künstler auf: Er reagiert mit eigenen künstlerischen Beiträgen auf die Sammlung und durchdringt sie (in der zweiten Wortbedeutung) mit ästhetischen Mitteln. Er verhindert die Möglichkeit, Künstler:innen und Werke nach gängigen – ästhetischen, stilistischen, historischen, inhaltlichen – Kategorien einzuordnen. Stattdessen wird eine eigenständige Erzählung geschaffen, die jeweils zwei Werke gegenüberstellt und in ein Gespräch bringt.

Dieser Teil der Ausstellung orientiert sich dabei eng an der Beschreibung des Unheimlichen, die Freud in seiner Untersuchung Das Unheimliche liefert. Nach Freud geht das Unheimliche nicht etwa auf das Unbekannte und Fremde zurück, sondern vielmehr auf das Altbekannte, längst Vertraute, das jedoch verdrängt und ins Unsichtbare gebracht wurde. Freud verdeutlicht dies an dessen Gegenteil, dem Heimlichen, das zwei ambivalente Bedeutungsebenen besitzt („heimelig“ sowie versteckt/verborgen). Unheimlich ist das, was eigentlich im Verborgenen und heimlich bleiben sollte, aber hervorgetreten ist. Auf Kunst übertragen: Unheimlich wird ein Kunstwerk, wenn jene Sinnschichten hervortreten, die in gewöhnlicher Präsentation und Einordnung nach kunsthistorischen Kriterien durch eben diese verborgen und verdeckt werden, nun jedoch durch korrespondierende Kunstwerke oder unerwartete Erzählmöglichkeiten plötzlich freigelegt werden.

In Müllers gezeigter Serie Reproduktionen von Frühwerken, für die er eigene, zerstörte Frühwerke aus den 1980er-Jahren aus dem Gedächtnis reproduziert hat, werden die Kunstwerke zu Wiedergängern und fragen nach der überzeitlichen Identität und konstanten Kontinuität des Schaffens. Der Gegenpart oder Gesprächspartner in diesem Duett – das verlorene Werk – erscheint als die unheimliche absolute Abwesenheit und unwiederbringliche Vergangenheit, die in eigentlich unmöglicher Weise plötzlich in der Gegenwart erscheint und damit nun zugängliche Bedeutungen und Interpretationen, die im ursprünglichen Werk noch verborgen waren, offenlegt. Zugleich verweist sie damit auf ein in verschiedenen Variationen wiederkehrendes Thema der Ausstellung: die Motive des Gespenstes und des Geistes, auf dasjenige der Wiederkehr aus dem Reich des Verborgenen und Unsichtbaren in die unverborgene Welt des Lebenden und Sichtbaren, die plötzlich von diesem durchdrungen, durchsetzt und durchlöchert zu sein scheint. Das Durchdringende – in all seinen Formen – ist das Unheimliche.

Die Ausstellung zeigt u. a. Werke von:

Gerhard Altenbourg, Armando, Roger Ballen, Hans Bellmer, Asger Carlsen, Rolf Faber, Galli, René Graetz, Hans-Hendrik Grimmling, Bertold Haag, Martin Heinig, Hirschvogel, Ingeborg Hunzinger, Leiko Ikemura, Aneta Kajzer, Max Kaminski, Henri Michaux, Michael Müller, Michael Oppitz, Cornelia Schleime, Stefan Schröter, Werner Tübke, Max Uhlig.

Partner der:

„Wie man träumt, so soll man malen“
(Werner Heldt)

Traum, Sehnsucht, Heimat Berlin und Freiheit beschäftigen die kommende Ausstellung, die am 16. Februar 2024 in der Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank eröffnet. Anlässlich des 70. Todestages des Malers, Grafikers und Lyrikers Werner Heldt (1904 – 1954), der zu den prägendsten Künstlern der Nachkriegszeit gehört, werden Werke im Dialog mit frühen sowie aktuellen Arbeiten von Burkhard Held (* 1953) gezeigt – beides Künstler der Kunstsammlung der Berliner Volksbank, die zusammen 100 Jahre Held(t)en Geschichte malen. Die Gemälde, Papierarbeiten und Grafiken entspringen verschiedenen Schaffensphasen beider Künstler; es entstehen Stimmungsbilder, die inmitten historischer Kontexte in einen Dialog treten.

Werner Heldt wird 1904 in Berlin geboren und studiert von 1922 bis 1924 an der Kunstgewerbeschule; es entstehen seine ersten Arbeiten. Es folgt ein Studium an der Akademie der Künste in Charlottenburg. Impressionen der (nächtlichen) Stadt Berlin werden Gegenstand seines stillen, beobachtenden Schaffens. Die Jahre ab 1929 werden zu einem Wendepunkt für ihn. Während des Nationalsozialismus flieht er ins Exil nach Mallorca und setzt sich dort mit der bedrückenden Bedrohung in seiner Heimat auseinander. Im Jahr 1936 ist er mit dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges gezwungen nach Berlin zurückzukehren. Ab 1940 rückt er als Soldat im Zweiten Weltkrieg ein und kehrt 1946 aus britischer Kriegsgefangenschaft zurück. Bis 1949 lebt er in Berlin-Weißensee (Ost), bevor er nach Berlin (West) umzieht. Er stirbt im Jahr 1954 in Ischia (Italien).

Burkhard Held wird 1953 in Berlin (West) geboren. Von 1972 bis 1978 studiert er an der Hochschule der Künste, Berlin (West). 1979 bis 1980 verbringt er einen einjährigen Studienaufenthalt in Garrucha (Spanien) mit einem Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Seit 1993 ist er bis zu seiner Emeritierung als Professor an der Universität der Künste Berlin tätig. Er lebt und arbeitet in Berlin.

Burkhard Held, Ohne Titel, Mischtechniken auf Fabriano Bütten, je 100 x 70 cm, Kunstsammlung der Berliner Volksbank K 229 und K 230 , © Burkhard Held, Fotos: Peter Adamik
Werner Heldt, Berlin am Meer (aus der Mappe: Berlin), 1949, Lithografie, 30 x 42 cm, Kunstsammlung der Berliner Volksbank K 12, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Peter Adamik

Die träumerische Wiedergabe (der Begriff Traum als Ausdruck der Legitimation der Erfahrung von Realität) der Innenwelt ist ein künstlerisches Merkmal Werner Heldts Darstellungen. Der Begriff „Traum“ findet sich in einer Sehnsucht nach Freiheit in der Ferne wieder – Zeit im Bild beschäftigt Werner Heldt sowie auch Burkhard Held. 

Burkhard Held widmet sich in den 1980er und 1990er insbesondere den Themen „Figur und Raum“. Er denkt den Raum und die Figur nicht getrennt; der Raum umfasst in seinem Bild auch die Figur. Die scharfen, bescheidenen Flächen und angrenzenden Kanten der spanischen Architektur haben seine Figurenmalerei durchaus beeinflusst. Später löst sich die Figur im Malprozess immer mehr auf. Das Berliner Stadtbild als Heimatort mündet in die Sehnsucht nach Natur und die Weiten der Landschaft. Mit seinem Aufenthalt in Portugal ab 2018 öffnet sich Helds Blick für die Gegebenheiten des Meeres. Die landschaftlichen Kompositionen des Wassers in seinen Gemälden gewinnen an Farbintensität und Bildfläche. Die kontrastreichen, flächigen Elemente zeigen sich als Abstraktion des Gegenständlichen.

In den Arbeiten „Berlin am Meer“, die in den vierziger Jahren entstanden sind, verwandelt Werner Heldt seine zerstörte Heimatstadt Berlin tagträumerisch in ein Meer. Die Werke der Nachkriegszeit weisen klar gezogene Linien sowie vergrößerte Flächen auf und trennen sie deutlich voneinander ab; es zeigen sich Elemente der mallorquinischen Architektur.

Mit Werner Heldts „Stilleben am Fenster“, die in den 1940er und 1950er Jahren entstanden sind, oder dem „Berliner Fenster“ (1988) von Burkhard Held wird die Heimat Berlin von außen und innen betrachtet. Das, was im Außen geschieht, wird registriert, aufgenommen und in Verbindung mit der inneren Gefühlswelt wiedergegeben; die Grundstimmung der Sehnsucht wird durch den Fensterblick verstärkt.

Auch in ihrer stilistischen Ausdrucksform finden Werner Heldt und Burkhard Held eine ähnliche Sprache, die sich in der sachlich abstrakten Expressivität ausdrückt. Die räumlichen Konstellationen, Gestalten und Objekte entstehen in der Erweiterung des Raumes, bzw. im Durchdringen, Dehnen und Formen von Fläche und der Befreiung von Grenzen.

Verschiedene Impulse mit Blick auf Berlin lassen ein Spannungsfeld von Stimmungsbildern beider Künstler entstehen, die inhaltlich und stilistisch in einen interessanten Dialog treten.